Poetische Konstruktionen.
Neue Bildobjekte von Ulla Ströhmann

Text von Dr. Sabine Schütz, 2004
anlässlich der Ausstellung im Oberlandesgericht Köln

Harmonische Kompositionen aus geometrischen Formen und leuchtenden Farben umgeben den Betrachter in Ulla Ströhmanns Atelier und machen den Besuch zum visuellen Erlebnis. Changierende Oberflächen von ambivalenter Ausstrahlung ziehen den Blick in eine künstlerische Welt, in der - das spürt man sogleich - ein ordnender und zugleich intuitiver Geist waltet. Ihr Aufbau aus Rechtecken und Quadraten, Horizontalen und Vertikalen sowie ihr ausgeprägter Hang zur Symmetrie verliehen diesen Bildern eine konstruktive, ja architektonische Stabilität. Gerne arbeitet die Künstlerin mit den ursprünglich sakralen Bildformen des Diptychons und Triptychons, die die Teilung und das symmetrische Gleichgewicht noch unterstreichen. Die variationsreiche, zuweilen fast ornamentale Anordnung der Formelemente sorgt aber auch für eine leichte, spielerische Note, die, ebenso wie das kontrastreiche Kolorit, dem statischen Eindruck entgegenwirkt. Ohne sich um Schwerpunkte zu gruppieren, befinden sich die Binnenformen in einem ausgeglichenen, gleichberechtigten Verhältnis zueinander, das an die frühen konstruktivistischen Konzepte von Piet Mondrian und der niederländischen „Stijl“-Gruppe der zwanziger Jahre denken lässt – an Künstler also, die mit ihren „neoplastizistischen“ Entwürfen bekanntlich nicht nur ästhetische, sondern auch soziale Harmonie versinnbildlichen wollten.

Dass Ulla Ströhmann ihre Arbeiten gerne als Bildobjekte bezeichnet, liegt vor allem an der kompakten Materialität dieser aus diversen Substanzen geschichteten „Körper“: Silber, Aluminium und pigmentgefärbtes Wachs sind die Hauptingredienzien, deren durchaus widersprüchliche Eigenschaften sich unter Ulla Ströhmanns Hand zu subtilen und komplexen Bildentwürfen verbinden. Zwischen der streng formalen Gestalt der Werke und ihrer haptischen Stofflichkeit entfaltet sich ein spannendes Wechselspiel aus Farbe und Glanz, Form und Bewegung, Fläche und Raum.

In den achtziger Jahren studierte Ulla Ströhmann bei dem britischen Bildhauer Eduardo Paolozzi an der Kölner Werkschule, wo sie sich einen eigenwilligen und originellen Umgang mit den skulpturalen Formen aneignete, der ihr plastisches Denken bis heute auszeichnet. Anfangs waren es der Natur entlehnte Gebilde, die sie variierte und, zumeist paarweise, kombinierte, surreale Phantasieobjekte von organischer Anmutung. Immer schon gehörte das Erproben neuer Techniken, Substanzen und Formen zu Ulla Ströhmanns künstlerischem Prinzip, und zu Beginn der neunziger Jahre stieß sie auf das vielseitige und wandlungsfähige Wachs, von dem sie schon allein aufgrund seiner Beständigkeit fasziniert war: In Hunderten von Jahren bleibt seine molekulare Zusammensetzung unverändert. Zudem verströmt echtes Bienenwachs den Duft seiner natürlichen Herkunft und regt bereits im unverarbeiteten Zustand die Sinne an.

In handlichen Brocken oder als Granulat lagert es in Ströhmanns Atelier, das ein wenig an ein Alchimistenlabor erinnert. Das Wachs muss nämlich auf einem Kocher in Tiegeln eingeschmolzen werden, bis es die geeignete Temperatur und Konsistenz erreicht hat, um sich mit den Pigmenten zum gewünschten Farbton zu verbinden. Dieses Enkaustikverfahren war schon in der Antike bekannt und wurde in der Renaissance wiederbelebt. Unter den Künstlern des 20. Jahrhunderts erkannte vor allem Joseph Beuys die eminente gestalterische und auch symbolische Kraft des Wachses – als materialisierter Bienenfleiß - und machte es für die zeitgenössische Kunst nutzbar.

Erste Ergebnisse zwischen Fläche und Raum erzielte Ulla Ströhmann mit der Enkaustik-Technik in den neunziger Jahren: Die „Paravents“, mannshohe Faltwände aus gleichförmigen, mehrfarbigen Tafeln, stehen im Raum und knüpfen somit an den skulpturalen Ansatz früherer Werke an. Mit der Zeit aber konzentrierte sich Ulla Ströhmann mehr und mehr auf das zweidimensionale Format, freilich ohne dabei dessen Raumdimension aus den Augen zu verlieren. In den aktuellen Werken ergibt sich der räumliche Aspekt aus den vielfach übereinander gelagerten Wachs-Farbschichten, denen immer ein fester, ebener Träger aus Holz oder MDF zugrunde liegt. Mit speziellen Pinseln streicht die Künstlerin zunächst die Grundierung aus mehreren Wachsaufträgen darauf, denn, so Ströhmann, „die Bilder brauchen Fleisch“, um die Einritzungen und Schnitte aufzufangen, zu denen es während des weiteren Verfahrens kommen kann. Auf der wächsernen Grundschicht werden sodann eine oder mehrere hauchdünne Schichten von Blattmetallen angebracht, worüber sich wiederum diverse, mit verschiedenen Pigmenten angereicherte Wachslagen ausbreiten. Allmählich entfaltet sich so ein Material- und Farbenspiel, das mit jeder neuen Ebene an Dichte und Intensität gewinnt.

Eine wahrhaft tragende Rolle spielen die Metallblätter, die mitten im Bildkörper zwischen den Wachslagen eingebettet sind und deren äußere Erscheinung wesentlich beeinflussen. In besonderem Maße ist auch das Licht beteiligt, das, je nach Stärke und Einfall, auf den eingelagerten Alu- und Silberblättern Spiegelungen und Reflexe hervorruft, die den opaken Wachskörper durchdringen und die Bildoberflächen von innen zum Leuchten bringen. Diese Oberflächen werden schließlich wiederum partiell mit einer blanken Haut aus Blattmetallen überzogen, die ihrerseits die darunter liegenden Farbschichten erahnen lässt. Der kalte Glanz von Aluminium grenzt manchmal direkt an den warmen Ton gelblich schimmernden Silbers, das Ulla Ströhman mit Schellack fixiert, bevor es oxydieren kann.

Die metallischen Partien bewirken die Gliederung der Bildkörper, die sie stellenweise wie Spiegel oder Fenster zu öffnen scheinen. Dazwischen erstrahlen, beinahe wie lebende Wesen, die farbsatten Wachsschichten in tiefem Karminrot, leuchtendem Königsblau oder warmem Orange. Diese Farbfelder, von den Metallflächen unterteilt oder auch umrahmt, unterzieht Ströhmann neuerdings immer öfter einer fast gestischen, betont malerischen Überarbeitung, die, aus der Nähe betrachtet, jeglichen Konstruktivismus des umgebenden Gesamtbildes vorübergehend vergessen macht. So greift die Künstlerin etwa eine zufällige Farbverdichtung im Wachs auf und führt sie weiter, bis sie sich in eine informelle Struktur verwandelt. Manchmal reibt sie mit pigmentbestäubtem Lappen über die Oberfläche, sodass ihre kreisenden Wischbewegungen ein locker verschlungenes Liniennetz auf dem Wachs hinterlassen.

Vor allem aber ritzt, kratzt und schneidet sie nun in die scheinbar fertigen Flächen hinein, schabt Grate als Trennlinien zwischen den Metall- und Wachsfeldern heraus oder nimmt sogar Teile der oberen Schichten wieder ab, um die darunter liegenden besser zur Geltung zu bringen. Auch diese Praktik verweist auf ein aus der Antike bekanntes Phänomen, nämlich das „Palimpsest“, das ursprünglich ein durch neue Texte überschriebenes Dokument bezeichnet. In der optischen Simultaneität verschiedener Entwicklungsstadien wird so auch der zeitliche Aspekt dieser Bildobjekte bewusst. Für Ulla Ströhmann spielt der Zeitfaktor eine wichtige Rolle, denn die Werke verkörpern ja auch die gleichsam „geronnene“ Zeit ihrer eigenen Entstehung. Diese ist, wie wir sahen, reich an Arbeitsphasen und kann sich lange hinziehen, immer wieder dem kritisch-korrigierenden Blick der Künstlerin ausgesetzt - bis zu dem entscheidenden Punkt, an dem sich Konstruktion und Emotion in idealer Balance miteinander vereinen. Material und Form, Farbe und Struktur, Oberfläche und Bildraum wachsen dann zu einer einheitlichen Erscheinung zusammen, der es gelingt, die scheinbare Antinomie von Verstand und Gefühl – zumindest symbolisch – in einer künstlerischen Synthese aufzuheben. Dann wächst die Kunst über ihre rein ästhetische Realität hinaus und gewährt Einblicke in einen utopischen Raum vollkommener Harmonie, wie er schon Mondrian vorgeschwebt haben mag.

Dr. Sabine Schütz, Köln 2004