Essay zu Poesie und Strenge

Text von Dr. Phil. Ingrid Helmke, 2009
anlässlich der Ausstellung im Kunstverein Nümbrecht im Mai 2009

Thema ist eine Malerei, die aus ihrem Wesen und als Erleben für das Auge Poesie entfaltet; die an die archetypische Macht von Farben heranreicht; und die hineinspielt in das Spannungsfeld von objektiver Mitteilung und subjektiver Umsetzung. Der Titel „Poesie und Strenge“ – von Ulla Ströhmann selbst gewählt und im ersten Moment vielleicht als widersprüchlich zu empfinden – berührt Kompositionsbögen wie sie auch in Lyrik und Musik erscheinen. Das vermeintlich Weiche wird in die feste Form gefügt, Farben treten neben Metall, und Metall und Farbe begegnen einander als gleichwertige Substanzen mit jeweils die andere erhöhender Wirkung.

Wir leben umgeben von Farben. Sie sind unzählbar, sind überall, häufig aufdringlich, zugleich für uns selbstverständlich. Wir nehmen sie kaum noch wahr. Dabei gelten Farben als eine der im Grunde rätselhaftesten Erscheinungen in unserer physischen – und wohl auch spirituellen Welt. Sie haben noch immer ihr irrationales und essentielles Geheimnis bewahrt. Warum und wie wir Farben sehen, scheint wissenschaftlich geklärt: zu unserem Leidwesen jedoch in immer absolut gegensätzlichen Theorien! Philosophen, Dichter, Künstler, von der frühesten Antike bis zur jüngsten Moderne, mühten sich um ihr Geheimnis. Selbst wenn es ihnen nur darum ging, sie in Worte, in Erklärungen oder auf die Leinwand zu bannen: Ihre so verschiedenen Erkenntnisse und Antworten bleiben für uns Nachfolgende unvereinbar.

Sind Farben etwas in uns oder außerhalb von uns? Sind sie immer da oder entstehen sie erst als Reaktionen? Auf alle solche Fragen scheint die Antwort sowohl ein Ja wie ein Nein zu sein. Als aufgeklärt und modern Denkende mögen wir die archetypische Macht der Farben leugnen, ihre psychologische Wirkung können wir trotzdem nicht weg-rationalisieren. Manche stimmen uns heiter, manche ergreifen uns irgendwo in unserem, sagen wir, Herzen, manche dämpfen unsere Laune und Lebenslust. Einfach erklärbar ist das alles nicht. Hinzu kommen individuelle Seh-Weisen, der Wandel von Bedeutungen und die Unterschiede in kulturellen Traditionen. Cézanne meinte, Farbe sei der Ort, wo unser Denken und das Universum sich begegnen. (W. Hess, Dokumente zum Verständnis der modernen Malerei, 1986.) Ein faszinierender Satz.

Kein Wunder also, dass sich eine Malerin, zumindest in ihrer augenblicklichen Schaffensphase, damit beschäftigt, nur und ausschließlich Farben zu gestalten! Und deswegen, und um ihr gerecht zu werden, die soeben genannten zwar vielleicht verunsichernden, aber gewiss aufmerksam machenden Vorgedanken. Wir sind hier, inmitten der Bilder, umgeben von farbenem Glanz oder von subtil schimmernder Farbigkeit, die als fließende Helle aus den Bildern leuchtet und wie etwas Zweites über den Bildkörpern zu schweben scheint. Wir sind umgeben von Schönheit. Dies hohe Wort wähle ich bewusst. Ich sehe unbedingte, wahre – abstrakte Schönheit. Im Vergleich dieser Bild-Objekte mit alten Tafelbildern wird zugleich deutlich, dass jene Technik beibehalten wurde – das Malen auf Holz und das Malen mit Wachs. Aber wir finden kein Thema, das von außerhalb des Malens selbst käme: Die Farbe tritt autonom auf. Nicht als Oberfläche sichtbarer Dinge. Nicht als festgelegte, erkennbare Form. Sondern in ihrem eigenen Recht. Ohne etwas anderem zu dienen als dem eigenen Sein und der eigenen Ausstrahlung. Die Malerin bedient sich hier einer tradierten Malweise – aber einer Bild-Auffassung unserer Zeit.

Bilder nur aus Farben, beziehungsweise aus nur einer Farbe, haben in der Moderne längst Tradition. Denn genauso wie unsere Hintergrunds-neugierige Zeit Strukturen erforscht, Zusammenhänge analysiert, Daseins-Gesetzen auf den Grund geht, so beherrschen Versuch und Experiment auch weite Bereiche der Kunst: als Reflexionen über den künstlerischen Schaffens- und Produktionsprozess, - oder als eigenständige Hingabe an den Vorgang des Malens selbst. So stehen hier nicht erzählende Bilder zur Debatte, keine Abbilder oder Fantsiebilder von etwas. Es geht offensichtlich allein um den Einblick in die Werkstoffe Wachs, Pigmente, Metall und in Strukturen und Arbeitsspuren oder, genauer, in den schöpferischen Vorgang im Kopf der Malerin. Weder der Titel der Ausstellung noch die Einzeltitel liefern dem Betrachter Deutungen: Er soll offensichtlich nicht lesen sondern die Werke auf sich wirken lassen: Ausbalancierte Kompositionen, wie plastisch greifbare Farbkörper, archi-tekturale und geometrische Perspektiven – illusionäre Raumvisionen: Ein Erleben von Tiefe, Weite und Ausdehnung. Wir registrieren Farb-Felder, vielfach variierende, kontrastierende, sich gegenseitig steigernde und andere, die sich nur leise im gleichen Farbton verschieben – dies vor allem in den weißen Bildern. Jede Farbe wirkt kostbar, und wir antworten emotional auf ihre Wärme, ihr Volumen, ihre weiche Lebendigkeit, auf ihre transparenten oder opaken Lasuren, die von Licht durchwirkt sind, in denen Licht sich spiegelt, bricht und in geheimnisvollen Reflexen wieder konzentriert. Manche Farben scheinen nachgedunkelt wie in alten Gemälden und lassen uns den ganzen Weg der Farb-Malerei in Gedanken noch einmal gehen.

Neben den Farbflächen glänzen polierte und halbmatte Flächen aus Aluminium- und Silber-Blatt: Sie gleichen den gemalten Partien, indem sie wie diese aus sich selbst leuchten. Sie liegen zum Teil exakt getrennt zwischen ihnen, aber auch unter und über den Farbflächen; oder sie sind partiell in die Wachs-Farbschichten eingebettet, sowohl als Kontrast wie als Einheit.

Malerei und Metall kann Widerspruch sein, Spannung oder Bruch. Doch stehen hier eindeutig die anscheinend gegensätzlichen Materialien im Dienst gemeinsamer Wirkung und gegenseitiger Steigerung. Während sich die Farbkörper in horizontale Schichten entfalten, bestimmen die rechteckigen Metallblätter wesentlich die Raum- impression. Sie wirken weich wie die Wachs-Segmente, solange nicht der Spiegel-effekt des Tageslichts sie besonders erstrahlen lässt. Im vollen Licht fungiert das Metall als intensive Lichtquelle – neben den Farbfeldern oder durchscheinend aus deren Innerem heraus. Faszinierend sind seine bewegten Oberflächen: Sie tragen Altersspuren, wurden wie rostig, fleckig und setzten Patina an. Sie sind durch das Feuer der Gestaltung gegangen. Davon zeugen Spuren des Widerstandes, Risse und Schrunden und Fältelungen. Sieht man genau hin, erkennt man, wie das Metall verlaufen ist oder sich zusammengezogen hat. Bevor diese erhabene Ruhe der Bilder entstand, war die Arbeit wohl durchaus nicht „sanft“! Nun führt die Zeit an ihnen die künstlerische Idee noch weiter fort: Verändert Licht die Ausstrahlung im Moment, so verändert Zeit in ihrer Dauer die Erscheinungsweise der Materialien. So werden die Bilder auch jene zunehmende Dauer ihres eigenen Daseins widerspiegeln. Alle Wirkungen spielen auf zwei Ebenen zugleich:

Raum

Im Licht, das von außen einfällt, entstehen aus Metall und Farb-Wachs-Schichten flächige Anordnungen wie Stufen illusionärer Tiefe. Zugleich kann die Farb-Schichtung aber auch als Hintergrund unter dem metallenen Leuchten liegen. Die Aluminium- und Silberpartien, die wie Sockel unterhalb der Farbfelder, wie Rahmen oder Teilungen wirken, machen die Farbräume kostbarer; sie umschließen sie, sie heben sie empor, sie verwehren sie dem Betrachter partiell oder laden zum Anschauen nur wie durch Fenster oder halbgeöffnete Türen ein. Rücken die Farbflächen optisch nach hinten, gewinnen sie zusätzlich an erhöhter Bedeutung: so, als befänden sie sich in zu schützenden, dem einfachen Zugang verschlossenen Bereichen.

Dies perspektivische Vor- und Zurücktreten scheint eine Funktion der jeweils stärksten Lichtquelle im Bild zu sein.

Wenn neben dem bildimmamenten Licht zugleich noch das Tages- oder Sonnenlicht auf die Bildfläche trifft, verwandeln sich einige Bild-Objekte sowohl horizontal wie vertikal: Als sollten sie Assoziationen sein, etwa zu eingelegten Fußböden (Fliesen/ Mosaik) oder farblich sich abhebenden Segmenten in Wänden. Mich erinnert manches an Pompeji.

Farbe

Die Farbflächen sind nicht einheitlich und nicht eindeutig; sie leuchten in verschiedenen Abstufungen, so dass sich innerhalb der einzelnen Farbfelder weitere Tiefenperspektiven öffnen. Jede Farbe ist im Grunde ein geistiges Phänomen. Immer eine erst noch zu definierende und überrationale Erscheinung, aber niemals Gegenstand. Das Besondere, und in jedem Bild eines jeden Malers neu zu Ergründende, dürfte das Wesen seiner einzelnen Farben sein – und wie diese sich im Bild verkörpern.

Dazu zwei Beispiele: Zunächst Schwarz. Die Betrachtung gilt den schwarzen und dem großen roten Bild-Objekt. Schwarz scheint die tiefgründigste der Farben zu sein und, wenn man der Kulturgeschichte folgt, auch die älteste. Aber immer zusammen mit Weiß. Schwarz, sagt die Forschung, sei nur sichtbar im Licht und habe dann stets weiße Glanzeffekte. Dies scheint auch hier ein Gestaltungsgesetz zu sein. Schwarz gewinnt Körper und Leben durch die eingefügten oder als Kontrast daneben gestellten hoch-glänzenden Silberflächen. Es leuchtet dann. Silber ist wie Weiß, und Weiß ist wie Licht. Schwarz gehört im europäischen Raum zunächst zu allem, was die Seele betrübt. Es wäre damit eigentlich die Abwesenheit von Licht. Zugleich gehört es hier auch zum Apparat von Herrschaft und Macht. Das Ausgegrenzte und das Besondere nehmen Schwarz für sich in Anspruch. (Im 17.Jh. war Schwarz die Kleidung der Herrscher. Und welche Mächte zeichnen sich auch heute durch Schwarz aus! Und wann trägt man festlich, elegant Schwarz!) Schwarz wirkt in diesen Bildern absolut nicht düster, sondern weit eher glanzvoll erhaben.

Rot als Ocker-Rot wurde bereits vor einer halben Million Jahren – vielleicht als erste bunte Farbe – für Tote und Lebende und offensichtlich zugleich für bedeutende Gegenstände verwendet. Rot kann Leben sein, und es kann auf jenseitige und geistige Macht verweisen! Dies Rot hier, im linken Teil des Diptychons ein fast Zinnoberrot, ist ein klares und lichthaltiges Rot! Zunächst seinem Wesen nach räumlich hervortretend und aggressiv, erscheint es jedoch durch das Licht des Silber modifiziert. Rot wird hier: Macht, zu Würde gebändigt.

Das rote Bild und die schwarzen Bilder vermitteln etwas Hoheitsvolles. (Dies Wort muss hier verwendet werden.) Sie könnten Herrschaftszeichen sein – und wäre ich Doge im alten Venedig, ich würde sie zu meinen Standarten wählen…. Mein erstes Empfinden diesen Bildern gegenüber war Ergriffensein. Sie scheinen wie aus absoluter innerer Ruhe entstanden. Sie vermitteln Klarheit, und sie verströmen Sensibilität. Ein Dialog der Bilder im Raum ist deutlich spürbar und geht zugleich über jedes einzelne Bild hinaus. Trotz der scheinbaren Stille fühlt man ein Hin- und Her-Fluten von Kräften. Und dies lebendige, bewegte Schweben der Farben in der anscheinenden Stille dürfte wohl das Wesentliche dieser Malerei – und dieser Materialverbindung sein.

Bleibt noch die Frage, ob bestimmte Bilder erst im Betrachter entstehen? Mit Bildern ist jetzt die Essenz gemeint, nicht mehr das zunächst Sichtbare: also die Materie Farbe und ihre Ausstrahlung. Es gibt mehr als die greifbare Farbe auf Leinwand, beziehungsweise hier auf Holz oder Metall – und damit mehr als die malerischen Abstraktionen. Denn hinzu kommt die Fantasie des Betrachters und deren eigene Aktivität – diese Arbeit mit Erinnerungen und Anverwandlungen, die nicht von einem Objekt abhängt. Das wäre nun wie Augen schließen, Ohren zumachen und Bilder im Kopf sehen. Farbe und Raum fließen dann zu Bedeutungen ineinander: Waagerechte Schattierungen, vor allem in Türkis-Grün, mögen sich für Augenblicke zu Meer und Horizont wandeln, Silberbänder als Stufen konkretisieren, senkrechte Kratzspuren die scheinbar getrennten Wahrnehmungen von figürlich und abstrakt zu Visualisierungen von Wald zusammenführen, Flächen mögen als Architekturen Körper annehmen – und aus Schemen mögen Landschaften erwachsen.

Vielleicht sind Landschaften tatsächlich emotional abstrakt. Oder wir haben sie als eine Art Ur-Struktur gespeichert. Denn Landschaft sind ja nicht die Bäume oder die Seen … diese sind gegenständliche oder konkrete Elemente. Die Landschaft scheint neben anderem auch eine Wirkung aus Farben und Formen zu sein. Mag das der Grund sein, warum uns abstrakte Malerei häufig zu Landschaft wird: Wir befinden uns beim Betrachten in uns selbst. Wir sehen sie aus dem eigenen Inneren heraus, einmalig, individuell, von Denken und Erleben bestimmt.

Was der Einzelne sieht, hängt somit immer von den Inhalten seines Bewusstseins ab und davon, wie weit er sich einlässt. Ein Spiel also der nahen Sicht, der privaten Begegnung, der subjektiven Vertiefung. Und vermutlich abhängig von der Tatsache, dass wir gemalte Farbe, nicht ohne einen Begriff, d.h. nicht ohne zumindest unsere persönliche Deutung registrieren können.

Handwerklich perfekt, in ihrer Stille erhaben, vom Thema distanziert, wahren die Bilder ihre Würde. Was immer wir auch in ihnen sehen möchten, ihre Schönheit muss nicht bewiesen werden. Da weder Sujets, noch Symbole oder andere Zeichen und Verweise zum Interpretieren gegeben sind, zeigen die Bild-Objekte offenbar nichts Subjektives, sondern nur das Objektive – das Material und seine Gestaltung. Alles Subjektive gehörte dann zur Wirkung, zum Bereich der Sinnkonstruktion der Anderen.

Eines gilt in allem: Die Bildobjekte bieten Schönheit dar, in einer Zeit, die sich dem Umschönen verschreibt. Sie schenken Stille, die der schrillen lauten Gegenwart so ganz entgegengesetzt ist.

Zuletzt bleibt da aber noch etwas Weiteres. Über alles hinaus hat das Licht hier eine die Malerei und die Schönheit überlagernde Magie. Damit zieht es an. Könnte man annehmen, Ulla Ströhmann habe den Auftrag, zu zeigen, dass Licht eine spirituelle Seite hat? Oder, mehr noch, dass sie diesen Gehalt selbst sichtbar machen soll? Das wäre ein Auftrag mit großer Verantwortung.

Dr. Phil. Ingrid Helmke, Burg Volperhausen, Mai 2009

Dr. Ingrid H. Helmke, Literaturwissenschaft und Kulturgeschichte, arbeitete in internationalen Projekten von Kulturvergleich und Kulturvermittlung der UNESCO und als Regierungsberaterin in Schwarzafrika. Widmete sich der Erschließung afrikanischer Kulturen und Kunstformen, und heute als Kuratorin und Autorin von Essays der Vermittlung gegenwärtiger Kunst in Europa.